Expertenmeinungen

Richard David Precht

Philosoph und Bestsellerautor

Die Anforderungen der zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt verlangen nach kreativen Problemlösern und nicht nach Köpfen, die wie Aktenordner mit totem Wissen gefüllt sind. Doch statt Kinder als individuelle Rennpferde zu behandeln, schulen wir sie zu geduldigen Postpferden, wie der Mathematiker und Managementberater Gunter Dueck anmahnt.

Kinder werden in Deutschland immer noch nach den gleichen Methoden unterrichtet wie vor 50 Jahren. Unsere Schulen bereiten nicht nur schlecht auf das Leben vor, sie zerstören sogar gezielt jene Potenziale an Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Kreativität, die später für ein erfülltes Leben gebraucht werden.

Ungezählte Bildungsreformen hat die Bundesrepublik bisher erlebt bis hin zu den jüngsten Verfehlungen des Bologna-Prozesses und zur flächendeckenden Abschaffung des 13. Schuljahres. Das, was heute ansteht, ist keine neue Reform. Unsere Schulen müssen nicht reformiert werden. Sie müssen völlig anders werden als bisher. Wir brauchen andere Lehrer, andere Methoden und ein ganz anderes Zusammenleben in der Schule. Mit einem Wort: Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!

Margret Rasfeld

Schulleiterin Evang. Gemeinschaftsschule Berlin

Wir haben in der Bildung nicht nur ein quantitatives Problem (ca. 25 Prozent erreichen keine Ausbildungsreife), wir haben ein qualitatives Problem. Kreativität lebt von Begeisterung, und Begeisterung entsteht in Freiräumen offenen Denkens, wenn nicht alles vorherbestimmt ist. Kreativität braucht Raum zum Scheitern ohne Beurteilung. Stattdessen herrscht im Schulsystem die totale Orientierung auf Leistung mit ständiger Bewertung. Selbst wer im bestehenden System der vorrangigen Wissensvermittlung vermeintlich erfolgreich ist, wird dadurch in der vollen Entfaltung der in ihm schlummernden Potenziale gedeckelt statt zur Exzellenz gebracht.

Wenn der Schulalltag geprägt ist durch eine Hierarchie von Fächern, zerstückelt in Häppchen, wenn Konformität höher bewertet wird als Heterogenität und Fragmentierung statt Interdisziplinarität das Lernen bestimmt, wenn Lehrer den Unterricht vorherplanen mit Arbeitsblättern, deren Lösung im Lehrerhandbuch steht, dann folgt das dem heimlichen Lehrplan: „Tu das, was dir aufgetragen wird“. Dann werden Grundbedingungen für Innovation, nämlich Autonomie, Selbstdenken, Urteilskraft, Persönlichkeitsstärke, Mut, maximale Interdisziplinarität, nicht nur vernachlässigt, sondern sträflich unterlaufen. Denn so wird ein innovationsfeindlicher Erfüllergeist geprägt.

Eine Gesellschaft hat so viele Talente, wie sie finden will. Das Potenzial einer Gesellschaft ist das Ergebnis der Bereitschaft, die Potenziale, die in allen Menschen vorhanden sind, tatsächlich wahrzunehmen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu entfalten. Das Bildungssystem in Deutschland organisiert dagegen das planmäßige Scheitern. Die frühe Selektion impliziert und stabilisiert den Defizitblick, auf den Lehrer in unserem derzeitigen System hin ausgebildet werden und ausgerichtet sind. Das Dilemma: Defizitorientierung und Potenzialentfaltungskultur sind zwei unvereinbare Haltungen.

Kurt Singer

Erziehungswissenschaftler

Es gibt Bildungspolitiker, die lassen sich weder von erfolgreichen Schulmodellen beeindrucken noch von Kritik. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer starken Bewegung von unten. Wenn sich Bürgerinitiativen sozial engagierter Lehrer, Eltern, Psychologen und Ärzte, Sozialpädagogen und Schüler solidarisieren, könnten sie die Regierenden aus ihrer Gleichgültigkeit aufschrecken. Viele Eltern passen sich jedoch schlimmen Zuständen an und betreiben ihre Selbstentmündigung als Bürger. Aus dieser Autoritätshörigkeit müssten Eltern und Schüler heraustreten und sich für eine gerechte Schule einsetzen, in der die Würde jedes einzelnen Kindes geachtet wird. Aber viele nehmen es als unabwendbares Schicksal hin, das über Kinder und Eltern hereinbricht. … Eltern, die sich pädagogisch sachverständig machen und Mitgefühl für ihre Kinder aufbringen, könnten Schulalpträume verhindern. Sie müssten mit Zivilcourage Einspruch gegen pädagogisches und soziales Unrecht in der Schule erheben.

Der Weg, auf dem sich Lernen vollzieht, ist für die Entwicklung von Lernmotiven so bedeutsam wie sein Ziel. Wem Schwimmen unter Lebensgefahr beigebracht wird, gewinnt schwerlich Freude am Wasser. Wer in Mathematik stündlich Angst vor Versagen erlebt, fürchtet das Fach und den Lehrer. Wer im Englischunterricht blamiert wird, will am liebsten kein Wort mehr sprechen. Wer im Literaturunterricht von abstrakten Analysen gepeinigt wird statt von den lebendigen Inhalten bewegt, verliert die Freude an Literatur. 30 Prozent der Schüler geben an: „Viele Dinge lerne ich einfach auswendig, obwohl ich sie nicht verstehe. Bei manchen Fächern weiß ich nicht, wofür sie eigentlich gut sind, mit vielen Dingen kann ich im praktischen Leben nichts anfangen.“ Diese Schüler lernen nicht nur nichts, sie lernen Sinnlosigkeit. Das wachsende Desinteresse entfremdet sie dem aktiven Lernen. Sie reagieren nur noch auf Zwang der Eltern und Lehrer.

Zensuren sind immer ungerecht, weil sie nicht dem einzelnen Kind gerecht werden. Was ist das für eine Gerechtigkeit: Kinder, die sich schwertun, werden schullebenslang mit schlechten Noten gedemütigt, weil sie mit ihren geringeren Fähigkeiten an anderen gemessen werden. Diese Schüler bräuchten Ermutigung und besondere Fürsorge. Durch die Unpädagogik von Schulnoten werden sie jedoch in ihrem Selbstwertgefühl geschädigt und im Lernen zusätzlich geschwächt. Die Notenbürokratie ist ein Unrecht, das vielen Schülern die Lernmotivation austreibt und sie zu „schlechten Schülern“ abstempelt; oft fühlen sie sich dadurch auch als „schlechte Menschen“.

Gerald Hüther

Neurowissenschaftler

Viele Kinder fallen durch die Erbsensortieranlage, die unsere Schule geworden ist. Nach wie vor wird Begabung mit einer guten Schulnote verwechselt, nach wie vor stellen wir analytisch-kognitiven Fähigkeiten in den Mittelpunkt. Der eigentliche Schatz, den wir fördern müssten, ist die Begeisterung am eigenen Entdecken und Gestalten, das Tüftlertum, die Leidenschaft, sich mit etwas Bestimmten zu beschäftigen. Man müsste sich stärker von den Interessen der Schüler und weniger von kultusministeriellen Vorgaben leiten lassen. Wenn man als Jugendlicher spürt, was man alles entdecken und gestalten kann, wächst das Bedürfnis, noch mehr zu entdecken und zu gestalten.

Für das vergangene Jahrhundert war unser System sicher richtig, aber die Welt ist eben nicht mehr dieselbe. Ich glaube, dass es in sechs Jahren Schule, wie wir sie kennen, nicht mehr geben wird. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, Schüler durch ein System zu schleusen, wo sie genau das verlieren, was sie für ihre Zukunft dringend brauchen: Leidenschaft, Eigenverantwortung und Lust, die Welt gemeinsam zu gestalten.  ganzes Interview lesen

Wer Arzt werden will, muss gut in Mathe sein, nicht in Mitgefühl. Die vorherrschende Auffassung von Begabung und ‚Intelligenz‘ ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Eltern und Schulen tun zwar alles, um die Fähigkeiten unserer Kinder zu fördern. Doch weil unser Schul-  und Bildungssystem immer noch fast ausschließlich auf Wissensvermittlung und Leistung setzt, bringen wir zwar Einserschüler und -studenten hervor, die dann im Berufsleben aber versagen. Auf der Strecke bleiben viele ungenutzte und frustrierte Talente, und diesen Irrweg beschreiten wir schon viel zu lange.

Manfred Spitzer

Neurowissenschaftler

Menschliche Gehirne sind zum Lernen gemacht. Das Gehirn kann gar nicht anders als zu lernen, das macht ihm die allergrößte Freude. Außer man versetzt es ins Koma, macht ihm Angst oder setzt es unter zu starken Druck. Angst ist Gift fürs Lernen.

Worum wir uns kümmern müssen ist, dass das Gehirn in einer guten Atmosphäre lernt, denn die Schüler müssen in 30 Jahren Probleme lösen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Da ist doch klar, was sie dabei nicht brauchen können: Angst. Wer unter Angst lernt, der lernt die Angst gleich mit, und das ist ganz dumm.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Schulen wieder akzeptierte Orte werden, wo Lebensvollzug stattfindet. Für viele Schüler ist Schule etwas, da geht man hin, schaltet ab, und erst wenn man draußen ist, geht das Leben wieder weit.

Karl Wenzel

Ehem. Präsident Bayer. Lehrerverband

Wer Kinder im sensiblen Alter von zehn Jahren nach fragwürdigen Kriterien aus- und umsortiert, wer Kombiklassen mit nur einer Handvoll zusätzlicher Lehrerstunden ausstattet, hat von intensiver und individueller Förderung wenig Ahnung. Solange die Grundschulzeit unter dem Diktat der Auslese steht, können Reformen nicht wirklich greifen.

Zeugnisse sollten nicht überwertet und in ihrer jetzigen Form möglichst bald abgeschafft werden. Kinder werden krank, Eltern hysterisch, Lehrer verzweifeln an ihrem Beruf. Jedes Jahr wiederholt sich das gleiche Drama und nichts ändert sich. Zeugnisse sind Instrumentarien eines überholten Lern- und Leistungsbegriffes. Die in den Zeugnissen stehenden Ziffernnoten sagen nicht viel über den tatsächlichen Lernfortschritt Heranwachsender aus. Trotzdem entscheiden sie über Bildungsbiografien. Zeitgemäß wären stattdessen individualisierte Lern- und Förderpläne.

Remo Largo

Kinderarzt und Entwicklungspsychologe

Zu Recht ist die gegliederte Schule umstritten. Sie ist widersinnig, weil sie nicht erreicht, was sie anstrebt, sondern Ungerechtigkeiten schafft. Mit der Dreigliedrigkeit versucht man den Gordischen Knoten der Vielfalt mit zwei Schwerthieben von Prüfungen und Noten zu lösen. Welcher Schulart ein Schüler zugeteilt wird, ist jedoch oft Zufall. Denn die Trennlinien zwischen Gymnasium/Realschule sowie Realschule/Hauptschule sind in jenen Bereichen, in denen sich leistungsmäßig die meisten Schüler befinden. So bestimmt der Zufall für zahlreiche Schüler, ob sie sich links oder rechts von der Trennlinie wiederfinden.

Ungerecht sind Noten auch deshalb, weil sie vorgeben, dass eine präzise Messung schulischer Leistung möglich sei. In der Realität herrscht jedoch eine beträchtliche Willkür. Beispielsweise eine Prüfung in Mathematik wurde von 42 verschiedenen Lehrern mit Zensuren von 1 bis 5 bedacht – je nach Bewertung des Lösungsweges. 

Wenn der Unterricht individualisiert wird, wird das bisherige Benotungssystem endgültig unbrauchbar und muss durch Beurteilungskriterien wie Kompetenzraster oder Portfolio ersetzt werden.

Kurt Singer

Erziehungswissenschaftler

Lernanregende Fragen beziehen sich auf das, was der Schüler wissen möchte, was er weiß oder zu wissen fähig ist. In vielen Unterrichtsstunden fragt aber der, der die Antwort bereits kennt: der Lehrer. Mit der Inflation von Lehrerfragen gehen Lehrer an der Urszene des Lernens vorbei, an der Schülerfrage. Wenn sich der Unterricht an Schülerfragen entzündet, wird er für die Kinder und für den Lehrer interessant.

Es gibt viele Gründe für Langeweile im Unterricht. Ein Hauptgrund ist der: Schüler dürfen sich zu wenig mit Themen auseinandersetzen, die sie herausfordern, Aufgaben, denen sie sich hingeben können, an denen es ihnen möglich ist, etwas von sich selbst zu verwirklichen.

Nicht nur für Kinder ist es zermürbend, uninteressanten Lehrstoff eingetrichtert zu bekommen. Es zermürbt auch den Lehrer, gegen die Interessenlosigkeit anzukämpfen. Eine apathisch vor ihnen sitzende Klasse strapaziert die Nervenkraft. Um die Schüler zu disziplinieren, brauchen Lehrer Energie, die dem Unterricht verloren geht. Der aufreibende Kampf gegen das Desinteresse hat Folgen: Lehrer fühlen sich müde und erschöpft, werden oft krank. Beide sind geschädigt: Lehrer, weil sie Schüler mit Macht für etwas motivieren sollen, was nicht in deren Interessenhorizont liegt: Schüler, weil sie zu Lernvorgängen gezwungen werden, die nicht ihren entwicklungsgemäßen Aktivitätswünschen entsprechen. Die Jugendlichen werden lernverdrossen, die Lehrer lehrverdrossen.

Eine Unterrichtsform, bei der Schüler ihre höchste Lebensqualität „Aktivität“ erfahren, ist die Freiarbeit. Sie folgt dem Prinzip, Kindern dabei zu helfen, alles selbst zu tun, was sie selbst tun können. Freiarbeit ermöglicht es, alle Kinder zu aktivieren und auf ihrem unterschiedlichen Leistungsniveau zu fördern. Der Satz „Hilf mir, es selbst zu tun!“ wurde zum Leitmotiv der Montessori-Pädagogik.

Andreas Stüwe

ehemaliger 1. Vorsitzender EINE SCHULE FÜR ALLE und Rektor an einem sonderpädagogischen Förderzentrum in München

In keinem Industrieland ist der Bildungserfolg der SchülerInnen so abhängig von ihrer sozialen Herkunft wie in Deutschland. Viele verbleiben auf einem niedrigen Leistungsniveau, nur wenige erreichen hohe Bildungsabschlüsse. Ein enormes Potenzial ist unserer Gesellschaft so bereits verloren gegangen und Unternehmen beklagen den Mangel an Fachkräften. 

Eltern fliehen aus den öffentlichen Schulen der „Bildungsrepublik“, private Schulen erleben einen beispiellosen Boom. Tiefgreifende Reformen des öffentlichen Schulwesens sind überfällig, um die Entfaltung möglichst aller Ressourcen einer alternden, im globalen Wettbewerb stehenden Gesellschaft zu ermöglichen.

Prof. Dr. Gerald Hüther

Neurowissenschaftler

Wir brauchen heute nicht mehr Leute, die nur funktionieren, wie im Industriezeitalter, sondern Leute, die mitdenken und gestalten, und das geht mit der alten Abrichtungsschule nicht mehr.

Wir bilden uns ein, Bildung sei machbar – von außen. Aber hirntechnisch geht das nicht, weil Bildungsprozesse Selbstorganisationsprozesse sind. Die müssen sich in dem Kind abspielen, dazu braucht das Kind Gelegenheit, sich mit Dingen zu befassen. Da braucht es Zeit, dem Interesse nachzugehen. Wenn dann aber 45 Minuten das eine Fach unterrichtet wird und dann 45 Minuten das andere… Das kann so auf Dauer nicht gut gehen. 

Wir müssen uns überlegen, was die Aufgabe von Schule wirklich sein soll. Es muss alles daran gemessen werden, ob es in Schulen gelingt, die Entdeckerfreude und Gestaltungslust unserer Kinder am Leben zu halten.

Ursula Leppert

Autorin, ehemalige Lehrerin, Ehrenmitglied von ESfA

Eine Schule für Alle muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, sie sei eine Einheitsschule, in der ein Einheitsbrei über alle gegossen wird. Gerade das geschieht aber im gegliederten Schulwesen, in dem der Stoff für die ganze Klasse der gleiche ist. Wer die Inhalte längst verstanden hat und weiter machen möchte, interessiert im normierten Klassenunterricht ebenso wenig wie derjenige, der noch einige Zeit bräuchte, um zum Verständnis zu gelangen.

Man wird der Heterogenität mit verschiedenen Schultypen nicht gerecht. Das kann nur individueller Unterricht. Und wenn individuell gelernt wird, dann brauchen wir keine Selektion mehr, dann können alle Kinder und Jugendliche gemeinsam in eine Schule gehen. 

Wir könnten endlich auf Noten verzichten, denn die Hauptaufgabe von Noten ist Selektion. Noten entscheiden: Du musst gehen! Zur Wiederholung oder von der Schule. Du darfst bleiben. Du nicht. Du darfst aufs Gymnasium. Du nicht. Du bekommst die Hochschulreife. Du nicht. Du bekommst eine Eins und du eine Sechs. 

Diese Entscheidungen sind Hoheitsakte, sie widersprechen jeglicher Pädagogik und sind wissenschaftlich nicht haltbar. Denn Noten sind subjektiv und messen falsch, wie unzählige Untersuchungen belegen und wie Lehrer auch wissen.

Elsbeth Stern

Bildungswissenschaftlerin

Unsere Schule ist sehr stark leistungsorientiert, aber zu wenig lernorientiert. Leistungsorientierung heißt: Wie kriege ich meinen Abschluss mit guten Noten? Lernorientiert heißt: Habe ich die Mathematik wirklich verstanden?

Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass die begabteren Schüler am besten lernen, wenn sie nur unter ihresgleichen sind. Also diese Vorstellung, dass man für jeden Schüler den richtigen Platz hat, auf den er auf Dauer hingehört, die ist so absurd, die lässt sich überhaupt nicht rechtfertigen.

Sobald die Aufgaben, das hat PISA zutage gebracht, von dem üblichen Format in der Schule abweichen, können viele deutsche Schüler die Aufgabe nicht mehr lösen, denn ihr Lernen war immer nur auf eine bestimmte Anforderung in der Schule zugeschnitten.

Royston Maldoom

Choreograph (u.a. Rhythm Is It!)

Selbst in Unternehmen und deren Vorstandsetagen beginnt man sich allmählich zu fragen, ob die Konkurrenz die wichtigste Voraussetzung für Erfolg ist – und man beschäftigt sich zunehmend mit der Rolle von Kreativität, Verhandlungsbereitschaft und partnerschaftlichem Denken.

Ich genieße den Augenblick nach einer Vorstellung, wenn ein Lehrer oder ein Elternteil sagt: ‚Ich hätte nie gedacht, dass mein Kind (oder mein Schüler) solche Fähigkeiten hat.‘ Dann darf ich antworten: ‚Nun wissen Sie, was das eigentliche Problem ist.“

Hans Brügelmann

Erziehungswissenschaftler

Das Notensystem erzwingt, dass es Verlierer gibt. Einige Schüler werden sogar derart verletzt, dass sie dauerhaft leiden. Aber auch viele der Leistungsstarken machen sich von Noten abhängig und der Inhalt verliert an Relevanz. Wir wollen doch eigentlich Schüler, die sich auch dann für Inhalte interessieren, wenn der Lehrer nicht mit Zuckerbrot und Peitsche daneben steht.

Wir sollten aus dem Gleichschritt ausbrechen und Räume eröffnen, damit Schüler ihre individuellen Interessen und Fähigkeiten entwickeln können. Das bedeutet: Es müssen nicht alle zur gleichen Zeit das Gleiche machen.

Angelika Speck-Hamdan

Professorin für Grundschulpädagogik

Kinder und Jugendliche sind mit dem Bedürfnis ausgestattet, die Welt und alles, was darin ist, zu verstehen, um darin erfolgreich handeln zu können. Nicht alle Gegenstände erschließen sich von selbst; die allermeisten bedürfen der Vermittlung. Dazu bedarf es der Kommunikation. Wer die Welt erfahren will, muss Fragen stellen und sich auf  Kommunikation einlassen. Dies ist die wichtigste Aufgabe der Lehrenden: sie müssen die Kommunikation so gestalten, dass die Lernenden in ihren individuellen Lernprozessen unterstützt werden.

Das Lernen können sie den Lernenden nicht abnehmen, sie können es jedoch anregen und dabei behilflich sein. Außerdem können sie die Kontexte, in denen Lernerfahrungen gesammelt werden, beeinflussen. Eine positive Atmosphäre, in der Lernende sich ernst genommen fühlen und in der das Lernen Freude macht, wirkt mit Sicherheit stimulierend.

Andreas Schleicher

PISA-Korrdinator OECD

Die Frage ist, wie können wir Menschen mit der Motivation und der Fähigkeit ausstatten, sich selber ihren eigenen Lern- und Lebensweg zu gestalten, also autonom zu handeln. Das zeichnet die Wissensgesellschaft aus. Das Schlimmste, was wir im Bildungssystem machen können, ist Menschen ihre Perspektive zu nehmen. 

Die Selektivität des Schulsystems ist ein Indikator für Misstrauen. Die mangelnden Freiräume für Schule sind ein anderes Zeichen für Misstrauen. In Finnland hat man sich gesagt, wir werden den sich so rapide ändernden Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht, wenn wir das zentral regeln. Sie haben gesagt, die Verantwortung für die Ergebnisse liegt bei den Schulen. Im Ergebnis liegen in Finnland zwischen den Schulen nur etwa 7% der Leistungsunterschiede, in Deutschland aber 70% (Anm.: Spitzenreiter bei PISA = Finnland). Das heißt, man hat bei uns mit dieser Selektivität, mit den Kontrollmechanismen das Problem nicht in den Griff bekommen und wird es damit auch nicht in den Griff bekommen. Die Herausforderung heißt: Wie können wir Vertrauen an die Handelnden geben?

Peter Hübner

Architekt

Lernlandschaften gelingen, wenn endlich die Erfahrungen und Erkenntnisse der Pädagogen und die Ergebnisse der Hirnforschung und anderer Wissenschaften Grundlage für architektonische Planung werden und nicht mehr die veralteten Schulbaurichtlinien. Es entstehen immer noch Schulen als Reihung starrer Klassenzimmer an langen Fluren. Die Architektur darf nicht stören. Denn wo man sich wohl fühlt, lernt man besser und leistet auch mehr. Und genau in dieser Reihenfolge.

Gele Neubäcker

Vorsitzende GEW in Bayern

Einer Gruppe von britischen WissenschaftlerInnen um die Hirnforscherin Cathy Price ist der Nachweis gelungen, dass sich Intelligenz ‚dynamisch‘ entwickelt und sich mindestens bis zur Pubertät verändern kann. Damit gibt es nun ein bahnbrechendes Argument aus der Neurowissenschaft gegen die Zuordnung 9- bis 10-jähriger Kinder zu Schularten, wie sie in dieser Form nur noch in Bayern praktiziert wird, also ein weiteres Argument für eine gemeinsame Schulzeit mindestens bis zum Ende der Pubertät.

Otto Herz

Diplompsychologe und Reformpädagoge

Die Zukunft der Welt braucht eine Schule, in der die Vielfalt der Kulturen wahrlich zuhause ist. Zum Verstehen der und zur Verständigung zwischen den Kulturen – kein wertvollerer Auftrag für jede Schule. Versagt eine Schule vor diesem Anspruch, versagt sie vor der Zukunft der Welt.