Wir haben da ein Problem in unseren Schulen
Ein Beitrag von Alexandra Köhler von Kinderflüsterei®.
Nach meinem letzten (Facebook-)Post darüber, welche disziplinarischen Mittel in unseren Schulklassen noch immer Anwendung finden, wurde ich überflutet mit Zuschriften von Eltern, die mir Einblicke in den Alltag ihres Kindes, den das Kind rückblickend Schulzeit nennen wird, lieferten, die dir die Schuhe ausziehen.
Es wird ja dann gerne „Einzelfall“ gerufen und mir „Lehrerbashing“ unterstellt und ich weiß noch immer nicht, wie differenziert ich meine Worte noch wählen soll, um eben nicht den Eindruck zu vermitteln, ich suchte nach einem Schuldigen.
In der Kinderflüsterei gehts aber nie um Schuld sondern um Kausalität, denn nur wenn wir die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung kennen, lässt sich die Herausforderung, die nachhaltige Folgen für unsere Kinder und unsere Gesellschaft hat, lösen.
Bedauerlicherweise handelt es sich nicht um Einzelfälle, wenn Kinder angeschrien, gedemütigt, bloßgestellt und bestraft werden, sondern um kindlichen Alltag in deutschen Schulen und jeder der etwas anderes behauptet, trennt eine ganze Generation von Kindern von einer Lösung, weil eben jede Veränderung erst einmal Bewusstsein für das Vorhandensein eines Problems benötigt.
Wir haben da ein Problem in unseren Schulen.
Es ist traurige Realität, dass Kinder Lehrpersonen ausgesetzt sind, die Respekt, Führungskompetenz und Selbstreflexion vermissen lassen, weil ihnen das Bewusstsein dafür fehlt, welche Auswirkungen ihre inneren Überzeugungen, die sie auf bestimmte Art handeln lassen, auf viele weitere Leben haben werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass dies nicht aus Gleichgültigkeit für andere und die verantwortungsvolle Tätigkeit heraus passiert, sondern aus Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber Umständen im Außen, die so nicht zu erwarten waren und für die derjenige keine Handlungsstrategien besitzt.
An dieser Stelle wäre es zwar hilfreich für den Lehrenden, Führenden und für die Art der Beziehung zum Schüler Verantwortlichen, wenn er um die Zusammenhänge zwischen inneren Überzeugungen und Problemen im Außen oder die Notwendigkeit von Beziehung oder die Auswirkungen von Disziplinarmaßnahmen auf diese Beziehung wüsste, aber das ist einfach nicht vorauszusetzen.
In der Lehrerschaft herrscht genau so viel Unbewusstheit darüber, wie gute Beziehung zu gestalten ist, damit Führung gelingen kann, wie unter Eltern und anderen pädagogischen Gruppierungen ebenfalls.
Das liegt daran, dass wir gerne den kürzesten Weg zu einem Ziel nehmen und wenn es das kollektive Ziel ist, stressfrei Unterricht gestalten zu können, den Lehrplan durchzuziehen und die eigene Ohnmacht im Rahmen zu halten und das dann auch noch „in die Gesellschaft integrieren“ genannt wird, dann führt dieser Weg nun mal über völlig überholte Maßnahmen, die langfristig massive Auswirkungen auf das Kind und unsere Gesellschaft haben werden , weil so zwar folgsame Kinder ins Leben schicken, die wissen was erwartet wird, die aber ganz sicher nicht mehr über die Kompetenzen verfügen, die komplexen Probleme unserer Zeit zu lösen, weil ihnen die Voraussetzungen hierfür längst abtrainiert wurden.
Dann ist Schule in dieser Form ein Fossil, ein Relikt der Industrialisierung, die notwendigerweise Befehlsempfänger hervorbringen sollte und keinesfalls freie Geister.
Wann wollen wir also mal anfangen über die Probleme in Schulen zu sprechen, anstatt über Problemschulen in Problembezirken mit Problemkindern?
Wann wollen wir denn mal darüber sprechen, dass Schule als Institution darüber entscheidet, wie unsere Gesellschaft sich entwickelt?
Wann wollen wir darüber sprechen, dass Inklusion nur gelingen kann, wenn es uns gelingt, jedes Kind zu inkludieren, sogar die unbequemen, indem wir seine Stirn stempelfrei halten?
Wann wollen wir darüber sprechen, dass eine Klasse als Gemeinschaft davon profitiert, dass sie weiß, wie Denken und Fühlen zusammenhängen und dieses Wissen anwendbar wird, indem der Erwachsene es lebt und lehrt?
Wann wollen wir darüber sprechen, dass Kinderrechte und deren Ausweitung im Gesetzbuch nur Dekoration sind, wenn diese Rechte tagtäglich mit Füßen getreten werden?
Wann wollen wir darüber sprechen, dass wir größere Probleme haben als einheitlichen Leistungsstandard, Digitalisierung in Schulen oder PISA und dass sich daran so lange nichts ändert, bis wir das Problem an der Wurzel packen und qualifizierte Lehrer ausbilden, die über Bewusstsein , Strategien und Mittel verfügen, ihren Berufsalltag überhaupt in aller Komplexität ausüben zu können und dieser immensen Verantwortung gerecht zu werden?
Wann sprechen wir darüber, dass wir alle das Selbe möchten für unsere Kinder und diese Gesellschaft und wie das gelingend umzusetzen ist?
Wann wird uns klar, dass Freiheit, Humanität und Verantwortung zu jedem Zeitpunkt in jedem von uns beginnen und das wir es sind, jeder einzelne von uns, der dieser Gesellschaft seine Werte injiziert indem er Entscheidungen darüber trifft, wie er mit jenen umgeht, die schwächer sind.
Ich wär dann so weit.
Das Bild, das mir zur Verfügung gestellt wurde, ist übrigens ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich Konsequenzen von Strafen unterscheiden.
Was ja so gern durcheinander geworfen wird. Die Konsequenz aus den vergessenen Schulsachen wäre es gewesen, nicht am Sportunterricht teilnehmen zu können und sich idealerweise maximal zu langweilen, weil dieser Sportunterricht bei diesem Lehrer wirklich Spaß macht.
Ärgerlich. Eine Strafe hingegen ist es, diesen sinnlosen Text abzuschreiben, mit dem der Lehrer beweist, dass er der Funktionalität des Schülers eine höhere Bedeutung beimisst als der gelingenden Beziehung zum Schüler.
Dass Strafen auf Kosten der Beziehung funktionieren lässt aber sicher Raum für einen neuen Post.
Alexandra Köhler ist Kinder- und Jugendcoach, systemischer Coach und Mutter von drei Kindern.
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