Brandbrief an Staatsminister für Unterricht und Kultus, Herrn Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL
Herbertshausen ist eine Gemeinde im oberbayrischen Landkreis Dachau, sein erster Bürgermeister Richard Reischl (CSU) ärgert sich maßlos über die Bildungspolitik. Deshalb hat er jetzt einen Brandbrief an Kultusminister Michael Piazolo geschrieben. Es geht ihm dabei im wesentlichen um die Grund- und Mittelschulen. Seit neun Jahren werden diese Schulformen aus seiner Sicht „kaputt reformiert und geändert, gar zerstört.“. Er listet dabei fünf wesentliche Gründe dafür auf: Lehrkräfte fehlen, der zu frühe Übertritt, Unvermögen bei der Digitalisierung, zu große Klassen in der Grundschule und das Sterben von Mittelschulen auf dem Land.
Offener Brief an Staatsminister für Unterricht und Kultus, Herrn Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Piazolo,
Als ehemaliger Hauptschüler, Vater einer Tochter in der Grundschule und Verbandsvorsitzender für die Grund- und Mittelschule Hebertshausen bin ich in der misslichen Situation, mal wieder offen mitteilen zu müssen, was mich maßlos ärgert und mich schier den Glauben verlieren lässt an unserer großen Politik. Wieder bin ich in der misslichen Lage, öffentlich einen Brief verfassen zu müssen. Doch ich kann darüber nicht schweigen oder darüber hinwegsehen. Es geht um unsere Grund- und Mittelschulen. Es will nicht in meinen Kopf. Seit nunmehr neun Jahren werden diese Schulformen systematisch kaputt reformiert und geändert. Warum war die Mittelschule früher so hoch angesehen, früher eine hervorragende Vorbereitung für alle Lehrberufe im Handwerk? Wieso gab es Absolventen, die eine Bankausbildung begonnen haben mit einem Quali? Warum bleiben uns heute von 62 Viertklässlern nur noch 13 übrig für eine fünfte Klasse und früher waren es 13 die auf ein Gymnasium gewechselt sind? Sind alle plötzlich so viel intelligenter? Oder waren wir früher schlicht und einfach dümmer? Und wenn ja, warum konnten wir Ausbildungen beginnen, die heute zwingend mittlere Reife oder Abitur erwarten? Warum erleiden Eltern massenweise Panikattacken, wenn Ihre Kinder nicht die entsprechenden Leistungen erzielen für einen Übertritt? Wo ist die Freude über Kind sein zu dürfen in diesem Lebensalter geblieben? Oder sind gar am Ende unsere Lehrkräfte Schuld? Nein, nein und nochmals nein. Unsere Grund- und Mittelschulen werden systematisch von solch einer Politik zerstört.
Grund 1:
Lehrkräfte fehlen. 1400 Stellen momentan nicht besetzt.
Man bräuchte Anreize für neue Lehrkräfte. Kein Problem: Man verdonnert Sie zu mehr Stunden, bei weniger Gehalt als Lehrkräfte anderer Schulformen und Streichung von gewissen Vorzügen wie Vorruhestand oder Sabbitacal. Teilzeit erschwert man und schon wird es laufen. Das ist Ihre Lösung Herr Kultusminister Michael Piazolo? Das präsentieren Sie mit Überzeugung? Und jetzt glauben Sie kommt es zur Schwemme von Abiturenten zur Einschreibung für dieses Studienfach? Sie machen diese Lehrkräfte zu den Verlierern im Bildungssystem. Sie werden folgende Erfahrung machen. Noch weniger Studenten (m/w) für dieses Lehramt, mehr Krankheit von Lehrkräften, Burn-Out, lange Ausfallzeiten. Sie nehmen auf einen Schlag Ihnen viel Motivation. Die Grundlage für gute Arbeit ist Motivation. Sie entziehen Sie. Diese Lehrkräfte haben Aufmerksamkeit verdient, mehr Geld, mehr Aufstiegschancen, mehr Respekt. Ich würde mir wünschen Sie würden mal sich die Zeit nehmen einen ganzen Tag in unserer Grund- und Mittelschule mit Lehrern den Dialog suchen und nicht immer auszuweichen mit den Floskeln der Auflistung bayerischer Erfolgspolitik im gesamtdeutschen Vergleich. Ein Hoch auf den Spitzenreiter der Bildung im Trostlauf der Verlierer. Können Sie eigentlich noch zuhören? Ich würde es mir so wünschen.
Grund 2:
Übertritt ab der fünften Jahrgangsstufe
Seit der Möglichkeit, die Realschule mit der fünften Klasse beginnen zu können, hat dies zu einer dauerhaften Massenhysterie geführt nach dem Motto: Oh Gott, mein Kind muss sofort den Absprung schaffen, sonst verliert es den Anschluss. Ich sehe Kinder, die restlos überfordert sind im Stadium ihrer Entwicklung, Realschulen die aus allen Nähten platzen, Klassenstärken die die Bildung des einzelnen Individuums verhindern und nicht ansatzweise Sinnhaftigkeit besitzen, Schüler die nur demotiviert werden durch dauerhafte schlechte Benotung usw. Schon mal gefragt, warum die Quote stets so hoch ist an Schülern, die nach der sechsten Jahrgangsstufe wieder in die Mittelschule zurückkehren. Haben Sie seit Ihrem Amtsantritt schon einmal mit einem betroffenen Schüler darüber mal eine Stunde mit ihm gesprochen? Wie oft waren Sie eigentlich schon in Mittelschulen zu Gesprächen in ihrer Amtszeit außer zu Präsentationen oder Presseterminen?
Grund 3:
Jetzt haben Sie Digitalisierung ausgerufen.
Erstmal eine Fanfare vom Blechinstrument für die hohe Förderung von bis zu 80% oder sechsstelligen Summen. Ergebnis: Jeder Zweckverband kauft Rechner, Laptops, Tablets, Beamer, Dokumentenkameras, Glasfaseranschlüsse. Unsere Schule hat nun knapp 50 Rechner, 15 Beamer, 26 Tablets, Drucker, Wlan, Netzwerk, alles was das Herz begehrt, aber keine Lehrkraft der dies verwaltet und ansatzweise vertieft damit arbeiten kann. Warum? Keine rechtzeitige und flächendeckende Fachausbildung dafür und weil es, wenn ich richtig informiert bin, eine!!! Verfügungsstunde pro Woche für administrative Arbeiten gibt. Dieser Zustand führt innerhalb kürzester Zeit zum Versagen der Technik. IT, die nicht funktioniert wird nicht benutzt, so einfach ist das. Wir versuchen das aufrechtzuerhalten mit externen Dienstleistern, die uns jedes Jahr eine fünfstellige Summe kosten. Es müsste zwingend an jede Schule ein Lehrer der min. 8-10 Wochenstunden für IT Administration erhält. Sie werden jetzt antworten: Ausstattung ist Aufgabe des Schulaufwandträgers. Warum fördern Sie dann diese Unterrichtsmittel???
Grund 4:
Grundschulklassen mit bis zu 26 oder 27 Schüler.
Wie soll eine Lehrkraft, vielleicht gerade im Referendariat oder gerade dieses abgeschlossen, hier in einer ersten Klasse allen ABC Schützen gleich helfen und fördern können? Kinder haben hier so viele unterschiedliche Voraussetzungen. Es müsste eine max. Klassenstärke von 16 geben, dann wäre Entwicklung möglich. Wir versuchen aus jedem Elefanten einen guten Kletterer zu machen, statt ihn in seinen Stärken von Anfang an zu schulen. Klar braucht es eine allgemeine Grundbildung, aber Bildung der Stärken sehe ich nicht bei diesem System oder Lehrplan.
Grund 5:
Wir stecken jedes Jahr große Summen in die Modernisierung unserer Grund- und Mittelschule, doch mit Ihrem Weg sind Sie spätestens in 5-10 Jahren unser Totengräber. Gerade die kleinen Mittelschulen sind eine ideale Plattform für stetige, ruhige Bildungsentwicklung.
Mit Ihren Schulverbünden schaffen Sie Angebote nur in großen Mittelschulen und lassen die kleinen verhungern.
Uns laufen die Schüler weg, weil keine Chance auf einen M-Zweig oder 10 Jahrgangsstufe besteht, bei gerade mal einen Zug pro Jahrgangsstufe.
Haben Sie mal den Mut an einer Grund- und Mittelschule mit hoher Ausstattung an Lehrkräften, kleinen Klassenstärken, Förderlehrern, Schulsozialarbeitern, IT Fachkräften, geänderten Rahmenlehrplan über 5-8 Jahre Erfahrungen zu sammeln. Sie werden es nicht tun, weil die Ergebnisse deutliche Schwächen des jetzigen Systems zu Tage bringen würden. Die Schüler dieser Projektschule würden nicht vorstellbare Erfolge aufweisen. Sehr schade. Doch wenn doch, ich biete unsere Schule sofort dafür an!
Wahrscheinlich werden Sie diesen Brief ignorieren, abtun als eine Botschaft vom immer frustrierten Reischl, doch ich gebe meinen Glauben nicht auf, irgendwann auf offene Ohren zu stoßen. Und mir hilft es, nicht irgendwann durch diesen Frust die Lust an der Politik zu verlieren.
Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Reischl
Erster Bürgermeister
Gemeinde Hebertshausen