„Ganz normale Schule“ aus dem Buch >>Morgengrauen<< von Rolf Robischon
Mit freundlicher Erlaubnis von Rolf Robischon dürfen wir hier den ersten Teil von Kapitel 1 seines Buches ‚Morgengrauen‚ (tologo Verlag) veröffentlichen.
Wir sind von Buch und Haltung Herrn Robischons sehr beeindruckt und bedauern, dass wir in seiner Schule bzw. seinem Klassenzimmer nicht mehr hospitieren können, weil er bereits im Ruhestand ist. Auf seiner Website finden sich viele Hinweise und Informationen zu seiner Herangehensweise als Lernbegleiter. Er selbst schreibt und spricht uns damit aus der Seele:
„Kinder lernten bei mir selbstständig und miteinander zu lernen und zu arbeiten. Druck ist überflüssig, nein schädlich oder verletzend. Und sie erreichen was für sie erreichbar und wichtig ist und können glücklich werden.“
Ganz normale Schule
Hauptlehrer Streng, Lehrer Gresslich, Oberlehrer Brummler, Lehrerin Gluck, Studienrätin Keifer und Oberlehrerin Mahnlich geben ihr Bestes. Sie vertreten die traditionelle, die übliche Schule, in die kleine Kinder hoffnungsfroh eintreten und an der viel zu viele bereits nach wenigen Wochen jede Lust verlieren.
Diese Lehrkräfte (Die Namen könnten ja stimmen. Sie sind frei erfunden.) haben den Beruf gewählt, weil schon Eltern oder Großeltern Lehrer waren, weil sie tief beeindruckt von der ersten Lehrerin oder einem der späteren Lehrer waren, weil sie lieber mit Kindern und Jugendlichen als mit Erwachsenen arbeiten möchten und weil sie es, so sagen sie, reizvoll finden, junge Menschen zu „formen“.
Oder weil sie dachten, das Studium sei nicht so lang und nicht so schwer und die Arbeitszeiten im Beruf so schön erträglich. Wie Schule geht, haben sie ja jahrelang als Schüler oder Schülerinnen erlebt.
Sie bereiten sich auf den „Stoff“ vor und planen die Inszenierung ihrer Unterrichtsstunden. Sie überlegen sich Maßnahmen gegen Unterbrechungen und Störungen. Sie legen sich zurecht wie sie Störenfriede und Verweigerer bestrafen wollen.
Anfangs haben sie sich auf ihren Schuldienst gefreut und waren voller Erwartungen. Zunehmend empfinden sie ihre Bemühungen hinter der geschlossenen Klassenzimmertür als belastend bis quälend.
An fast jedem Schultag müssen sie erleben wie ihr Unterricht gebremst wird, wie das was sie sagen und zeigen, nicht verstanden wird, wie Aufträge und Anweisungen falsch verstanden oder nicht befolgt werden, wie Aufgaben falsch oder nur unvollständig oder gar nicht „gemacht“ werden.
Wie könnten sie auf so was reagieren?
Hauptlehrer Streng bestraft immer mehr und gibt schlechtere Noten, Lehrer Gresslich fängt an zu saufen und Oberlehrer Brummler ist so oft wie möglich krank. Lehrerin Gluck flieht in Fortbildungen, Studienrätin Keifer entfernt „unpassende“ Lernende aus ihrer Klasse und Oberlehrerin Mahnlich begibt sich auf die Suche nach anderen Möglichkeiten, nach anderen Arbeitsweisen in der Schule. Wenn sie Glück hat, wird sie dabei von der vorgesetzten Behörde unterstützt. Wenn sie Pech hat bekommt sie „eine aufs Maul“, weil ein Ausscheren aus dem üblicherweise vorgesehenen Schulalltag als Störung des Arbeitsfriedens empfunden werden kann. Das Kollegium könnte anfangen zu mobben. Vielleicht wird sie auch einfach krank. Bis auf Hauptlehrer Streng werden alle möglichst vorzeitig in den Ruhestand treten.
Nora, Meral und Sabine, Mehmet, Simon und Max hatten sich so auf die Schule gefreut. Man hatte ihnen gesagt, dort könne man alles lernen. Man werde klug und groß und erfolgreich.
Nora hatte ja schon ein paar Bedenken. Ihr Bruder Tom schimpft so oft auf die Hausaufgaben und die Strafarbeiten. Bei Meral ist es der Vater, der von Lehrern nicht so besonders viel zu halten scheint. Die Mutter von Sabine ist auch Lehrerin. Max wurde von der Oma schon mehrmals darauf hingewiesen, dass er dann brav sein müsse und folgsam.
Simon kannte die Lehrerin schon. Sein Vater war damals bei ihr in die Schule gegangen. Mehmet freute sich, weil die anderen Kinder auch hingingen.
Bei der Einschulung hielt ein Mann eine Rede, die Schulanfänger saßen in einer Reihe und wurden nach Leibeskräften fotografiert und gefilmt. Und dann wurden sie in ein Zimmer mit vielen Tischen und Stühlen geführt und so platziert, dass alle in eine Richtung schauten. Die Lehrerin hielt ihren Zeigefinger auf den Mund und machte „Pschschscht“.
Mehmet versteht nicht genau was die Lehrerin sagt. Simon muss aufs Klo. Max kann nicht stillsitzen und will mit dem Jungen, der neben ihm sitzt, reden.
Nora hat ein bisschen Angst und fängt an zu weinen, Meral möchte mit ihren schönen neuen Buntstiften malen und Sabine vergleicht die Lehrerin mit ihrer Mutter.
Nach zwei Wochen ordnen sich die Verhältnisse.
Mehmet soll „gefördert“ werden. Simons Eltern bekommen einen Brief, weil ihr Kind so oft aufs Klo muss. Max wird als ADHS-Kind „identifiziert“ und seinen Eltern wird der Einsatz von Ritalin ans Herz gelegt. Das Kind habe es doch so viel leichter, wenn es ruhig sitzen und sich konzentrieren könne.
Nora muss morgens brechen und wird in der Schule entschuldigt. Meral wird ermahnt und angefahren und bekommt die Buntstifte immer wieder aus der Hand genommen. Malen ist jetzt nicht „dran“. Und Sabine wird misstrauisch beobachtet. Sie ist schließlich das Kind einer Kollegin.
Beim ersten Elternabend wird sich zeigen, wie da die Einstellung der Eltern zu dieser Klasse und dem unterrichtendem Kollegium ist. Wenn man nachfragen würde, man könnte schon jetzt Hinweise bekommen, auf welche Schule diese Kinder nach der Grundschule verteilt werden sollten.
Rolf Robischon:
Autor, Cartoonist, Diplompädagoge, Lernbegleiter, Fotograf, Rektor i. R, vierzig Jahre im Schuldienst, verheiratet, zwei Söhne , ein Enkel
Er schreibt über sich:
Vierzig Jahre Lehrer, ich sag längst „Lernbegleiter“ dazu, zur Lehrerfortbildung fortgebildet und nie von den Schulbehörden dafür eingesetzt.
(Vortragstätigkeiten in mehreren anderen Bundesländern, Berlin, Bremen, Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz)
mehr als dreißig Jahre lang Schulleiter der Johannes-Grundschule Bad Krozingen-Hausen in der Südwestecke Deutschlands (meine 6. Schulstelle
nach verschiedenen Sonderschulen und einer Grund- und Hauptschule). Referendare durften nicht zu mir an die Schule. Meine Arbeitsweise kam in der Prüfungsordnung nicht vor.
Auskunft vom Seminar für Schulpraktische Ausbildung Lörrach: Meine Denk- und Arbeitsweise (Selbst organisiertes kooperatives Lernen/ Robischon-Konzept zum Umgang mit dem Lernen) ist das Gegenteil von Pädagogik und brachte mir allerhand Misstrauen und Gegenwehr meiner lieben vorgesetzten Behörden ein Kultusministerium B-W, Oberschulamt Freiburg, Schulamt Freiburg mit zahlreichen Überprüfungen bis kurz vor dem Ruhestand.Dann galt die Manana-Regel: Einfach warten bis der Querulant verstorben ist. Inzwischen gab’s Anerkennung an der Uni Bremen und in Thüringen.
Bei etlichen Eltern und natürlich den Kindern ist es anders.
Kinder lernen tatsächlich nur selber. Und Eltern merken, dass es ihrem Kind gut geht und dass es etwas kann.
Eine kritische Mutter meinte, das sei ja nicht wie Schule, sondern wie Leben. Bedenken hatten einige wenige, weil bei mir ihre Kinder
nicht vorbereitet (abgehärtet) wurden auf einen „üblichen“ Umgang mit dem Lernen mit Druck, Auslese, „Unterricht“ und ständigen Kontrollen (Pegelmessungen für Abfragewissen).
Es gibt immer noch Leute die glauben, Schule müsse so sein wie im 19. Jahrhundert und wundern sich dann über heftige Gegenwehr oder Emigration der Lernenden. (in Deutschland gibt es mindestens 100.000 Schulverweigerer, jährlich über 250.000 Sitzenbleiber, über 4 Millionen Analphabeten)
Weitere Veröffentlichungen von Rolf Robischon findet Ihr >>hier.