Auch so kann Schule sein
Text von Angelina Bockelbrink (Ärztin und Coach, https://lerne-lernen.com und unser 2. Vorstand)
Mein persönlicher Bericht über unseren Besuch und die Hospitation im Bildungshaus Bad Aibling.
„Das kann doch nicht alles sein. Es muss doch auch in Bayern Schulen geben, die gut funktionieren, wo man sich wohlfühlen kann und wo die Kinder mit Wertschätzung behandelt werden“. Diese Gedanken gingen mir immer und immer wieder durch den Kopf, nachdem wir mit unseren eigenen Kindern die ersten Erfahrungen mit dem bayerischen Schulsystem gemacht hatten.
Ja klar, das bayerische Schulsystem ist altmodisch und starr, das konnte ich mir von vielen Seiten bestätigen lassen. Gleichzeitig konnte ich aber auch sehen, wieviele Menschen durchaus Gutes wollen und durchaus sehr positive Einstellungen und Haltungen mitbrachten.
Schließlich gab es kleine Hoffnungsschimmer am Horizont. Hier und dort Lehrerinnen, die andere Ideen und Konzepte einfach umsetzten und erfolgreich damit waren. Ganze Schulen, die offener und freien waren, nur leider fand das fast alles in München statt, nicht bei uns auf dem Land.
Der Besuch wird geplant
Doch dann kam mir zu Ohren, dass es nicht weit von mir eine ganz besondere Schule geben sollte, das Bildungshaus in Bad Aibling. Auf der Webseite konnte ich nachlesen:
Jedes Kind darf im Bildungshaus seine individuelle Meisterschaft bestreiten. Mit der Idee eine Modelleinrichtung zu schaffen, welche das Kind in all seinen Bedürfnissen und Kompetenzen in den Mittelpunkt stellt, wurde die Idee des Bildungshauses geboren. Daraus ist eine einzigartige Einrichtung entstanden, welche die Angebote der Jugendhilfe (Kinderkrippe, Kindergarten und Hort) mit dem schulischen Angebot einer Grundschule kombiniert.
Auf der Meisterschaft begleiten und unterstützen die Lernbegleiter Kinder ab dem ersten Lebensjahr bis zum Übertritt auf eine weiterführende Schule dabei, das Gute in sich und für andere zu entfalten. Jeder in seinem individuellen Tempo, in seinen individuellen Interessen und Fähigkeiten. Und immer im Versuch die natürliche Neugier unserer Bildungshauskinder zu fördern und zu steigern. (https://www.das-gute-entfalten.de/bildungshaus-bad-aibling).
Die Idee war geboren, diese Schule einmal anzusehen. Gesagt, getan, auf eine Anfrage erhielten wir umgehend eine freundliche Einladung, doch einfach zum hospitieren vorbeizukommen. Auch ein Termin war schnell gefunden, so dass sich an einem windigen Märztag sechs Frauen auf den Weg ins Bildungshaus machten.
Die Hospitation in den Gruppen
„Hier ist noch ein Platz frei, da kannst du dich hinsetzen“, so empfingen mich die Kinder, als wir mitten in ihren Morgenkreis hineinplatzten. Und als ich mich gesetzt hatte, machten Sie auch gleich weiter. Hier wurde begrüßt und der kommende Tag besprochen. Die Tagesreporter berichteten von der Jahreszeit und vom Wetter, außerdem gaben sie einen Ausblick auf den kommenden Tag. Für den Report gab es ausnahmslos hilfreiches und konstruktives Feedback, dass die Reporter-Kinder gut annehmen konnten.
Nach dem Bericht erzählten die Kinder von Ihren Erfahrungen mit Briefen, sowohl mit dem Schreiben von Briefen als auch mit dem Bekommen. Sie waren sich einig, dass es Freude macht, Briefe zu schreiben und Briefe zu erhalten. Sicher ein Grund, wieso sich dieses Thema unter dem Punkt “Gutes Miteinander“ findet, der eine ganze Menge Raum bekam im Morgenkreis.
Überhaupt war dieser Morgenkreis eine Zeit des Austauschs und des Ankommens. Jedes Kind hatte hier die Möglichkeit etwas einzubringen und nahezu jedes Kind nutzte diese Gelegenheit auch. Jeder Beitrag wurde gewürdigt und alle begegneten sich wohlwollend, die Kinder untereinander, aber auch die Erwachsenen. Was hierbei auffiel, dass verhältnismäßig viele Erwachsenen im Raum waren, die sich aber alle zurücknahmen und vielfach im Hintergrund agierten.
Die Gruppe, in der ich hospitierte, war altersgemischt aus Kindern der 2. und 3. Jahrgangsstufe. Nach dem Morgenkreis gingen alle in die Wochenplanzeit. Jedes Kind nahm sich Federmäppchen, Arbeitsmaterialen und seinen individuellen Wochenplan und begab sich auf einen Platz.
Manche suchten sich eine ruhigen Einzeltisch, andere arbeiteten in Kleingruppen, ein paar Mädels richteten sich auf dem Gang ein Sofa her, an dem sie dann arbeitete und noch andere sicherten sich einen weitentfernten Arbeitsplatz direkt vor dem Sekretariat.
Nach kurzer Zeit waren alle in ihre Arbeit vertieft und lösten Rechenaufgaben, beschäftigten sich mit Rechtschreibübungen oder erarbeiteten sich ein neues Grammatikkapitel. Kaum ein Laut war zu hören, obwohl ein Mädchen ihrer Nachbarin die Aufgabe erklärte und immer irgendein Kind herumlief, sei es auf dem Weg zum Klo oder um sich Materialien zu holen. Die ganze Atmosphäre war hochkonzentriert und gleichzeitig entspannt.
Hintergrundwissen
Eulen heißen diese Stunden, wobei EULE für Entwicklungs- und Lernzeit steht. Und keine Frage, das ist es, was hier passiert: Die Kinder lernen. Jedes auf seine Weise, an seinen eigenen Themen. Die Erwachsenen sind dabei aber keinesfalls untätig. Die Lernbegleiter und Lernbegleiterinnnen, wie sie hier genannt werden, unterstützen dort, wo es nötig erscheint. Sie haben die Kinder im Blick, beschäftigen sich mal mit dem einen und mal mit dem anderen Kind. Nie muss ein Kind lang warten, wenn es nicht weiterkommt und auch Kinder, die sich mit ihrem Fokus schwer tun, erhalten Hilfestellung.
Neben den Eulenzeiten gibt es noch andere spannende Themen auf dem Tagesplan. So steht dort „ZfU“, was ich mir erklären ließ, weil ich mit dieser Abkürzung nichts anzufangen wusste. Wie mir die Kinder eifrig erläuterten heißt das „Zeit für uns“ und es geht dabei um das Miteinander. Hier können Problem in der Gruppe geklärt werden, aber vor allem geht es darum in soziale Interaktion zu treten, weshalb z. B. auch kooperative Spiele gespielt werden. Außerdem gab es feste Spiel- und Draußenzeiten, also Pausen von einer Länge, dass sie diesen Namen wirklich verdienen.
Im Bildungshaus werde Kinder vom Krippenalter bis zum Ende der Grundschulzeit betreut. Eine strikte Trennung zwischen Schule und Kindertagesstätte gibt es dabei nicht. In der C-Stufe werden Kinder der 1. Jahrgangsstufe und Vorschulkinder gemeinsam betreut und beim Lernen begleitet. Die ganz Kleinen finden sich in den Stufen A und B, während die D-Stufe jahrgangübergreifend für die 2. und 3. Jahrgangsstufe da ist, und die E-Stufe der 4. Jahrgangsstufe entspricht.
Weitere Stimmen
Auch die anderen Teilnehmerinnen, die in unterschiedliche Gruppen hospitierten, waren sichtlich beeindruckt. Deshalb wollen wir auch noch weitere zu Wort kommen lassen.
Michaela:
So kunterbunt und kreativ wie die von weiten erkennbare Fassade des Bildungshauses in Bad Aibling, so ist auch das Innenleben des Hauses mit den Kindern und ihren Lernbegleitern.
Mit der E-Stufe haben wir erlebt wie in offenen Räumen zuerst die tägliche Morgenrunde, in der der Tag vorgestellt wird und aktuelle Nachrichten von zwei Buben für die Mitschüler vorbereitet und vorgestellt wurden, im Anschluss gab es für die beiden ein durchaus positives Feedback. Die Kinder argumentieren hierbei routiniert und formulieren gekonnt das Feedback, beiden Jungen bedanken sich und nehmen konstruktive Kritik dankend an. Wir empfanden in dieser Phase die ruhige Atmosphäre als bemerkenswert. Danach Deutschunterricht, in dieser Einheit wurde „die Zukunft“ gestaltet und erarbeitet.
Herzlichen Dank fürs teilhaben lassen. (Michaela Mayer, Lern- und Konzentrationstrainer http://www.leko-mayer.de)
Simone:
Während der Hospitation am 12.03.2024 sah ich die E-Stufe, es ist die 4. Jahrgangsstufe. Die Schüler und Schülerinnen haben mich gleich ganz selbstverständlich in den Morgenkreis eingebunden, dies hat mich sehr gefreut. Die Kinder waren mit Freude am Unterricht aktiv dabei, man hat gesehen, dass sie entspannt an die Aufgaben herangehen und unterstützt werden, diese fertig zu bekommen.
Meine Bedenken sind, ob diese Schüler und Schülerinnen nach der E-Stufe sich in einer Regelschule auch so gut einfinden können und ob ihnen der Spaß am Unterricht erhalten bleibt, das wünsche ich Ihnen von Herzen. (Simone Mayer, in Ausbildung zur Fachlehrkraft für Ernährung und Gestaltung)
Abschluss
Im Anschluss an die Hospitation bekamen wir noch Gelegenheit alle Fragen loszuwerden, die wir so hatten. Die Leiterin des Bildungshauses, Mirjam Klingenschmid, nahm sich reichlich Zeit für uns und konnte den tollen Eindruck noch vergrößern. Besonderer Dank geht auch an sie, sicherlich nicht nur für die großartige Bewirtung, sondern vor allem für das authentische Vorleben der wertschätzenden Kultur im Bildungshaus Bad Aibling.
Eine Grundschule wie diese, hätte ich mir für meine Kinder gewünscht. Und ich hoffe, dass sich die Ideen und das Gesamtkonzept weiterverbreiten und auch an anderen Schulen und Kindertagesstätten zum Tragen kommen.
Mehr Informationen zum gesamten Bildungshaus (Schule, Kindergarten, Krippe) auch für Eltern, die sich für eine Aufnahme ihrer Kinder interessieren, gibt es unter https://dwro.de/standorte/einrichtung/bildungshaus-bad-aibling/